Donnerstag, 21. Juni 2018

Leseprobe: Tina - Zwischen Latten-Schüssen und heißen Bällen




 

Mir war ziemlich mulmig, als ich kurz vor neunzehn Uhr am Vereinsheim des SC Auerbach aus meinem Auto stieg. Erst gestern Morgen hatte mich Stefan, der erste Vorsitzende und ein alter Bekannter, angerufen und mir den Trainerposten für die erste Mannschaft der Fußballer angeboten. Ich hatte kurz darüber nachgedacht, kam zu dem Schluss besser als gar nichts und sagte zu. Mein letzter Verein hatte für meine B-Jugend mit dem Team des Nachbarortes eine Spielgemeinschaft gebildet. Deren Bedingung war, dass ihr Trainerteam unverändert bestehen blieb. Da es die einzige Chance für den Verein war, hatte der Vorstand diesem Wunsch nachgegeben. Das war vor etwa sechs Monaten, gerade kurz vor Saisonbeginn. Und irgendwie fehlte mir der ganze Trubel.
Mit klopfendem Herzen ging ich zum Eingang des Vereinsheimes, drückte die Klinke herunter und öffnete die Tür. Natürlich schossen alle Blicke direkt zu mir. Oh mein Gott, worauf hatte ich mich da nur eingelassen? Warum wartete ich nicht darauf, dass ich nochmals ein Jugendteam bekam? Vielleicht mal Mädels? Ich musste verrückt geworden sein. Schnell sah ich mich in dem nicht allzu großen, etwas stickigem Raum um: Stefan stand links von mir mit einem etwas älteren Mann an der Theke. Nach rechts hin waren mehrere besetzte Tische. Vermutlich die Spieler.

„Hallo“, grüßte ich kurz in die Runde.

Stefan sah zu mir und lächelte. „Hi, komm doch am besten gleich zu mir“, sagte er und wandte sich den anderen zu. „Also Jungs, ich möchte euch Tina Schneider vorstellen, euren neuen Coach.“ Das einsetzende Gemurmel der Mann-schaft überhörend sprach er weiter: „Sicher kennt der ein oder andere von euch Tina, sie arbeitet bei dem Physiotherapeuten in Gassenheim.“

Ich schaute mir inzwischen die Mannschaft an und ja, ein paar der Gesichter kannte ich von der Arbeit her. Besonders Innes O‘Reilly, den langen, sehr schlanken Torwart mit den feuerroten Haaren, die so schön wirr in alle Richtungen standen. Er war mir schon gleich sympathisch, als ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Das war, als er etwa vor einem Jahr, mehrere Wochen nach einer Verletzung, zur Krankengymnastik kam.

Ich hörte Stefan weiterreden: „Sie ist vierundzwanzig und hat jahrelang selbst sehr erfolgreich gespielt, bis sie aufgrund einer Verletzung aufhören musste. Um trotzdem weiter dem Fußball verbunden zu sein, hat sie die Trainerausbildung gemacht. In den letzten zwei Jahren hat sie die B- und D-Jugend in Bergheim trainiert und das sehr erfolgreich.“
Ich sah, dass etliche der Spieler sich ungläubig ansahen, sich leise etwas zuflüsterten, die Köpfe schüttelten. Das hier würde eine ganz andere Nummer werden, als die Jungs und Mädels, die ich bisher trainiert hatte. Ich bemerkte, wie die Spieler mich musterten. Von oben bis unten ansahen. Mir in die dunkelblauen Augen schauten, meine kurzen dunkelrot gefärbten Haare registrierten. Nur 1,60m groß war ich, aber dafür durchtrainiert. Meine Brust, die nicht zu den Kleinsten gehörte, ging für ihre Blicke unter dem weiten Pullover etwas unter. Das hinderte die meisten trotzdem nicht daran, mich gerade dort besonders intensiv anzustarren. Zum Ausgleich dafür betonte die enge Jeans meinen knackigen Po optimal. Ein, nein zwei anerkennende Blicke konnte ich wahrnehmen.
Einer aus dem Team erhob sich. Auch ihn kannte ich, lag er doch erst letzte Woche zur Massage vor mir auf der Bank: Sebastian Keller, der etwas korpulente Kapitän des Teams mit den sehr kurz rasierten, braunen Haaren und hellblauen, stechenden Augen. Er blickte die Männer an der Theke an und sprach: „Stefan, Martin, das ist nicht euer Ernst, oder? Ihr wollt uns ´ne Tussi vorsetzen? Seid ihr denn verrückt geworden?“ Er wurde immer lauter, bis er fast schrie: „Was soll die schon von Fußball verstehen?“ Ich zuckte gehörig zusammen.

Einer seiner Teamkollegen stand auf, packte ihn an der Schulter, beruhigte ihn und brachte ihn dazu sich wieder zu setzen. Was er dann widerwillig tat. Stefan sah ihn an. “Jungs, ich habe alle angerufen, die derzeit ohne Verein sind: den Meinert, den Dahl, den Kettler und noch einige andere. Alle haben abgesagt. Findet euch damit ab. Ihr seid derzeit die Letzten der untersten Liga. Ihr könnt froh sein, dass euch überhaupt jemand trainiert. Tina ist gut, wirklich gut. Gebt ihr doch wenigstens eine Chance. Sie ist die einzige, die es mit euch versuchen will.“

Ja, so schlecht stand es um die Auerbacher Mannschaft. Betröppelt sahen sich die Spieler an, als Stefan erneut das Wort ergriff: „Tina, vielleicht möchtest du selbst auch noch etwas sagen?“
Wieder ruhten diese bohrenden Blicke auf mir. Nur nicht nervös machen lassen, sagte ich mir. „Ja, also, ich freue mich schon auf eine gute Zusammenarbeit und hoffe doch sehr, dass es uns gemeinsam gelingt, diesen miserablen Tabellenplatz endlich zu verlassen. Training beginnt morgen Abend wie immer um neunzehn Uhr. Ich bin ab achtzehn Uhr hier, wer früher kommen kann oder jetzt gleich noch etwas Zeit hat, mit demjenigen würde ich mich gerne noch etwas unterhalten, damit ich euch besser kennenlerne. Ach ja, und die Getränke gehen danach auf meine Rechnung, zum Einstand.“

Das ein oder andere Murmeln und einige typische Machosprüche waren zu hören. Einige der Spieler schienen ein großes Problem mit mir als Trainerin zu haben und verließen bereits demonstrativ das Vereinsheim. Okay, ganz ehrlich: nur fünf blieben. Und es waren nur welche, die mich von der Arbeit her schon kannten. Niedergeschlagen blickte ich zu Boden. Ich hatte zwar mit Misstrauen, Skepsis und Widerstand gerechnet, aber nicht in dem Ausmaß.
„Na los, Coach, setz dich zu uns“, winkte mich Manuel herbei. Auch die anderen kamen nun an diesen Tisch. Außer Manuel waren nur noch dessen Bruder Danny, Innes, der noch sehr junge Nico und der aus der Schweiz stammende Sylvain geblieben. Stefan und Martin, der zweite Vorsitzende, setzten sich zu uns.
„Der Schuss ging wohl nach hinten los“, sagte ich niedergeschlagen zu Stefan, „die werden mich niemals ernst nehmen.“
„Ach was, die beruhigen sich schon wieder“, entgegnete Danny. Ich schaute ihn an, sehr muskulös war er geworden, seit ich ihn zuletzt gesehen hatte. Auch das hellbraune Haar war anders, etwas kürzer als sonst geschnitten.
„Ich weiß nicht, ich bin da nicht so sicher“, entgegnete ich betrübt und strich mir eine lose Haarsträhne hinters Ohr.
„Aber ohne Trainer sind wir komplett aufgeschmissen. Du willst uns doch nicht etwa hängen lassen?“, erkundigte sich Sylvain und legte mir die Hand auf die Schulter. Er sah mich mit seinen ungewöhnlichen, graublauen Augen an, die mich unter seinem schwarzen Wuschelkopf heraus anstrahlten.

„Nein, das will ich nicht, aber… “

„Kein ‚Aber‘, du bleibst und es wird mit uns aufwärts gehen“, meinte Innes, der mich die ganze Zeit schon mit Blicken verfolgt hatte. „Lass dich von den andern bloß nicht verunsichern, so sind sie nun mal. Sollen sie sich erst mal an den Gedanken gewöhnen. Stefan wird schon wissen, was er tut. Und auf uns kannst du zählen, stimmt´s Jungs?“
Die anderen Jungs nickten zustimmend und Innes zwinkerte mir aufmunternd zu. Okay, dachte ich mir, zwar nur fünf Mann, aber hey, das war doch besser als gar nichts, munterte ich mich selbst auf. Sie hätten alle weg sein können …
„Danke, dass ihr hinter mir stehen wollt, echt nett von euch.“ Ich beugte mich zu meiner Tasche und nahm Notizblock und Kugelschreiber heraus.
„Okay, wir sind zwar jetzt nicht vollzählig, aber einiges könnten wir schon noch besprechen. Deshalb möchte ich jetzt gerne von euch wissen: wo seht ihr eure Stärken, eure Schwächen? Jeder für sich persönlich und als Mannschaft?“

Anfänglich noch etwas zögerlich, dann immer lebhafter, informierten sie mich über alles, was für mich als neue Trainerin interessant war. Seite um Seite füllte sich auf meinem Block. Erst als Nico auf die Uhr sah und murmelte: “Verflixt, noch vier Stunden und die Nacht ist wieder rum für mich“, sah ich auf die Uhr. Es war schon kurz vor elf.

„Oh je, doch noch ganz schön spät geworden. Dann wollen wir es jetzt dabei mal belassen. Gut, wir sehen uns dann morgen zum Training.“ Wir verabschiedeten uns voneinander und gingen hinaus.
„Coach, könntest du mich mitnehmen? Mein Auto ist kaputt und du fährst doch sowieso in meine Richtung“, wollte Innes wissen. Seinem bittenden Blick hätte ich nicht widerstehen können.

„Nur wenn du den Coach weglässt!“
„Zu spät, der hängt dir jetzt an.“

„Okay, wenn du meinst … Langer. Komm, da hinten habe ich geparkt.“ Ich deutete auf ein in der Dunkelheit nur schwer auszumachendes, schwarzes Fahrzeug vor dem Vereinsgelände. Aus den Augenwinkeln folgte ich seinem Blick. So entging mir nicht sein Erstaunen.

„Ein Calibra? Cool, ich such schon eine Weile nach einem. Du willst deinen nicht zufällig verkaufen?“
„Niemals! Du wirst weiterhin suchen müssen.“
Wir waren inzwischen am Wagen angekommen, ich hatte die Türen geöffnet und stieg ein. Innes war gerade mal mit der linken Seite richtig im Auto, als er erst noch den Sitz zurückschob.

„Sorry“, sagte er, „aber sonst wäre ich nicht reingekommen.“
„Du bist ja auch nicht gerade klein.“ Ich musterte ihn kurz.
„Wie groß eigentlich? Zwei Meter?“

„Nicht ganz, fünf Zentimeter fehlen mir dazu.“
 
Ich fuhr los, es war um diese Zeit sehr ruhig auf der Straße. Ab und an sah ich ihn kurz aus den Augenwinkeln an. Er wirkte total entspannt, so kamen seine weichen Gesichtszüge viel besser zur Geltung. Meine Güte, wenn er nicht einer meiner Spieler wäre …