Auf der Zufahrt zum Sternenhof blieb ich kurz stehen. Ich sah über die riesigen Weiden zu beiden Seiten des Weges. Schön war es hier, alles wirkte so ruhig und friedlich. Eine Stille, die ich aus der Stadt nicht kannte, umgab mich. Aber, ich gebe es ja zu, hier im Süden des Saarlandes war ich ein bisschen auch am `Ende der Welt` angekommen.
Die Anzeige, die
ich in der Zeitung gelesen hatte, kam für mich gerade zum richtigen Zeitpunkt. Ich hatte mich beworben - und hier war ich
nun, so einfach war das. Jetzt, wo ich hier stand, wurde ich doch ein wenig
nervös. Hoffentlich hatte ich da keinen Fehler gemacht. Trotzdem war ich froh
darüber, alles andere hinter mir gelassen zu haben.
Alles andere,
das war Höxter, die Stadt, aus der ich gerade kam. Dort fühlte ich mich nie
wirklich wohl.
Alles andere
bedeutete für mich auch Steffen, mein Ex-Mann. Ein absolut widerlicher Typ, wie
sich im Nachhinein herausstellte.
Und es
bedeutete meinen letzten Job, der mir eh schon lange zum Hals heraushing. Nun,
es war an der Zeit für einen Neuanfang.
Ich hob meine Koffer
wieder auf und ging weiter, auf das Tor der Reitanlage zu. Kurz bevor ich den
Hof erreichte, sah ich dieses Pferd auf der Weide. Das mir zugewandte Vorderbein
war im oberen Bereich sehr blutverschmiert. Aus der Entfernung konnte ich die
Wunde nicht richtig sehen, das Pferd schien sich jedoch nicht bewegen zu wollen.
Ohne lange darüber
nachzudenken stieg ich durch den Holzzaun und ging auf das Pferd zu. Der
Hengst, ein bildschöner, muskulöser Rappe, mit glänzendem Fell und sehniger
Statur, wandte den Kopf in meine Richtung. Eine breite Blesse zierte seine
Stirn und die Abzeichen an seinen Vorderbeinen wirkten fast, als ob er Socken
trüge.
Leise sprach
ich mit ihm, während ich weiter, ganz langsam, auf ihn zuging. Aufgeregt
schnaubend sprang er erst einmal kurz zur Seite, als ich versuchte, ihn am
Halfter zu fassen. Das Weiße in seinen Augen trat aus seinen weit aufgerissenen
Augen hervor. Fast hatte ich ihn schon erreicht, als er wieder einen Schritt
zurückwich.
„Nur ruhig,
mein Junge, niemand tut dir was, es ist alles in Ordnung“, sprach ich leise zu ihm.
Als ob er
meine Worte verstanden hätte, blieb er stehen, sah mich aber weiter
misstrauisch an. So konnte ich mir die Wunde etwas genauer anschauen und sah, dass
es ein recht tiefer Riss war.
Wie selbstverständlich
griff ich nochmals nach dem Halfter und lief dann langsam mit ihm zum
Koppelausgang. Dort nahm ich den Strick, der am Tor herumlag, machte diesen am
Halfter fest und führte den Hengst langsam aus der Koppel heraus auf den Stall
zu.
„Was zum
Teufel tun sie da“, donnerte plötzlich eine Stimme.
Sie kam aus
einer der Stalltüren, wo ein Mann stand, die Hände in die Hüften gestemmt und
mit wütendem Blick in den hellen, blauen Augen.
„Ganz
einfach“, antwortete ich gelassen, „das Pferd ist verletzt und auf der Weide ohne
Verbandsmaterial kann ich Ihm nicht helfen.“
„Oh, wenn das so ist … Entschuldigung, das
hatte ich nicht gesehen. Aber wer sind sie eigentlich?“
„Susanna Da Silva,
die neue Hilfskraft … Und mit wem habe ich hier das, hm, Vergnügen?“ Ja, das
Vergnügen hatte ich besonders betont.
„Chris Stein“,
er hielt mir seine Hand, nachdem er sie an seiner Hose abgewischt hatte, mit einem
Lächeln hin, “Mädchen für alles. Der Chef hätte aber auch mal was sagen können,
dass sie heute kommen.“
Ich musterte
ihn kurz, schätzte ihn etwa 1,85m groß, das mittellange, dunkelblonde Haar hing
ihm weit über die Stirn. Wesentlich freundlicher sah er mich nun an. Er war von
durchtrainierter Statur und wirkte auf den zweiten Blick dann doch recht
sympathisch.
In seiner
verwaschenen Jeans und dem karierten Hemd sah er aus, als ob er gerade einer
Marlboro-Werbung entsprungen wäre. Rasiert hatte er sich wohl auch schon zwei,
drei Tage nicht mehr, aber die Bartstoppeln betonten noch seine markante
Kinnpartie, zu der die eher kleine Nase nicht so ganz passte.
Auch das Chris
mich jetzt, mit hochgezogenen Augenbrauen, musterte, nahm ich wahr: meine eher
kleine, recht schlanke Statur. Das schwarze, langes Haar zum Zopf geflochten,
dezent geschminkt und mit der Brille, die mein schmales Gesicht noch etwas
betonte. Dahinter meine braunen Augen, mit der leichten Tendenz zu asiatischen
Zügen.
Okay, ich sah zum
jetzigen Zeitpunkt gerade nicht nach einer typischen Pferdepflegerin aus. Zudem
trug ich noch einen Rock mit Bluse und meine Schuhe konnte man auch nicht
gerade als stalltauglich bezeichnen. Aber in alten Jeans und Turnschuhen,
meiner bevorzugten Stallkleidung, wollte ich ja unterwegs nicht alle Blicke auf
mich ziehen.
Misstrauen
stand noch immer in seinem Blick, ich schien seine Gedanken erraten zu haben
und sagte gleich darauf mit einem Lachen: “Lassen sie sich nicht von meinem
Aussehen irritieren, ich kann durchaus auch zupacken. Sollten wir jetzt nicht
lieber erst einmal das Pferd versorgen und einen Tierarzt anrufen?“
„Ja, klar,
sicher. Führen sie ihn schon mal in den Stall, Fly folgt ihnen ja wie ein Lamm.
Ich rufe sofort Dr. Schäfer an. So wie das hier aussieht, muss das genäht
werden.“
„Gibt’s hier
irgendwo Wasser?“
„Ja klar, gerade
da vorne im Stall, direkt hinter der Tür, haben wir den Waschplatz.“
Chris verließ
den Stall und ich begann, vorsichtig die Wunde zu reinigen. Fly schaute mir
dabei, noch etwas misstrauisch, über die Schulter zu, schien aber zunehmend
Vertrauen zu mir zu fassen. Gleich darauf kam auch Chris wieder und brachte
eine Erste-Hilfe-Kiste mit. Er nahm Verbandsmaterial heraus, deckte die Wunde
ab und ich legte einen einfachen Verband an.
„So, mehr
können wir jetzt erst mal nicht tun. Dr. Schäfer kommt auch gleich, er ist
sowieso auf dem Nachbarhof. Vielleicht können wir später noch einen Kaffee
zusammen trinken. So zum Kennenlernen?“ fragte er.
„Gerne, ich geh
mal schnell noch mein Gepäck holen. Das steht immernoch in der Auffahrt“,
lächelte ich ihn an.
„Ach, lass
nur. Das mach ich schon, du kannst in der Zeit ja schon ins Büro zu Inge,
unserer Chefin, gehen. Sie kann dir dann gleich mal dein neues Reich zeigen
lassen. Bevor du hier richtig loslegst, willst du dich doch auch bestimmt mal
erst umziehen, oder ziehst du bei der Stallarbeit immer einen Rock und
Stöckelschuhe an?“ fragte er mit einem frechen Grinsen. Ganz selbstverständlich
war er zum Du übergegangen.
„Nein. Nur,
wenn ich irgendwo neu hinkomme“, gab ich lachend zurück. “Das Büro finde ich da
drüben, richtig?“ deutete ich auf das Nebengebäude.
„Ja, wenn du
hineingehst, gleich links die erste Tür. Inge müsste da sein, ich habe sie gerade
eben noch gesehen. Bis nachher dann“, sagte er.
*
Ich verließ
den Stall, überquerte den Hof, dessen Gebäude dreiseitig um den Hofplatz
angeordnet waren.
Wenn man vorne
durch den großen Torbogen kam, lag rechts das große Haupthaus, links war ein
fast ebenso großes Nebengebäude mit dem Gestüts-Büro und den Wohnungen für die
Angestellten.
Geradeaus lag
das langgezogene Stallgebäude. Zur Hofseite hin lagen Sattelkammer,
Futterkammer, sowie die Waschbox und das Solarium, zur Rückseite hin zweigten
zwei kleinere Stalleinheiten ab, die jeweils zu zwei Seiten zehn Boxen mit
Ausläufen hatten. Direkt über dem Stall wurde ein Teil von Heu, Stroh und
anderer Einstreu gelagert.
Zur rechten
Seite des Stalls lag eine der Reithallen mit weiteren Boxen und der Sattelkammer
für die Schulpferde. Zur linken Seite gab es eine zweite Reithalle mit der Führanlage.
Dazwischen waren die schön angelegten Reitplätze.
Hinter Haupt-
und Nebenhaus waren noch kleinere Offenställe, vor allem für die Jungpferde,
die nur zum Füttern oder bei Verletzungen in die abgeteilten Boxen gestellt
wurden, und ansonsten rein- und rausgehen konnten wie sie wollten. Die Anlage
hatte mir vor wenigen Tagen beim Vorstellungsgespräch auf Anhieb sehr gut
gefallen.
Ich betrat das
Nebengebäude, sah auch gleich die Tür mit der Aufschrift „Büro“ und klopfte an.
„Ja, herein
bitte“, kam eine freundliche Antwort.
Ich betrat das
Büro und sah mich einer sehr sympathischen Frau Anfang vierzig gegenüber, die
ihr dunkelbraunes Haar kurz gelockt trug und mich mit ihren braunen Augen
freundlich ansah. Trotz ihrer schmalen Figur hatte sie etwas rundliche
Gesichtszüge, die noch durch die ausgeprägten Wangenknochen und die ein wenig
groß geratene Nase besonders auffielen.
„Guten Morgen,
ich bin Susanna Da Silva“, stellte ich mich vor und reichte ihr die Hand.
„Guten Morgen und herzlich willkommen. Ich bin Inge Karstens. Setzen Sie
sich doch“, bat sie mich und deutete auf den Stuhl vor dem Schreibtisch, bevor
sie mir ihre Hand reichte. „Maria wird Ihnen gleich ihre Wohnung zeigen, ich
bin leider noch nicht sehr gut zu Fuß“, zeigte sie lachend auf ihr Gipsbein. „Ich
freue mich, dass wir endlich Verstärkung bekommen. Hier mangelt es momentan an
allen Ecken und Enden.